«Diese Ärzte verharmlosen die AKW-Strahlen»
Mehrere Studien belegen: AKW-Strahlen können bei Kindern Leukämie auslösen. Die Ärztegruppe FME bestreitet dies. Jetzt deckt der Gesundheitstipp auf: Ihr Geschäftsführer arbeitet auch für die AKW-Industrie.
Inhalt
Gesundheitstipp 04/2010
10.04.2010
Letzte Aktualisierung:
12.04.2010
Ines Vogel
Das Faltblatt kommt kinderfreundlich daher: Ein Spielzeugzug ist darauf abgebildet. Der Titel: «Kinderleukämie und Kernkraftwerke – (K)Ein Grund zur Sorge?» Mit bunten Bildern stellt es AKWs als problemlos dar. Und ohne erhöhtes Leukämierisiko für Kinder: «Die Strahlung eines Kernkraftwerks kann als Ursache ausgeschlossen werden», heisst es da. Herausgeber ist das Forum Medizin und Energie, kurz FME. Mitautor der Broschüre ist Felix Niggl...
Das Faltblatt kommt kinderfreundlich daher: Ein Spielzeugzug ist darauf abgebildet. Der Titel: «Kinderleukämie und Kernkraftwerke – (K)Ein Grund zur Sorge?» Mit bunten Bildern stellt es AKWs als problemlos dar. Und ohne erhöhtes Leukämierisiko für Kinder: «Die Strahlung eines Kernkraftwerks kann als Ursache ausgeschlossen werden», heisst es da. Herausgeber ist das Forum Medizin und Energie, kurz FME. Mitautor der Broschüre ist Felix Niggli. Der Krebsspezialist leitet die Krebsstation am Kinderspital in Zürich.
Das Forum gibt sich als «Fachvereinigung von Ärzten» aus. Zurzeit versucht das FME, seine Thesen auch über die Medien bekannt zu machen. Als wichtigstes Argument führt die Gruppe an, die Strahlung aus AKWs sei «gering» und werde gut überwacht. Leukämie könne andere Ursachen haben – zum Beispiel Infektionen.
Wissenschafter und Ärzte sind entsetzt über diese Thesen. Gesundheitstipp-Arzt Thomas Walser sagt: «Das FME verharmlost das Risiko, das von der niedrigen radioaktiven Strahlung aus AKWs ausgehen kann.» Für Wolfgang Hoffmann, Professor an der Universität Greifswald (D), ist klar: «Wer ein Strahlenrisiko durch AKWs bestreitet, ignoriert die Forschung der letzten 20 Jahre.» Viele Aussagen des FME seien «unwissenschaftlich». Hoffmann: «Manche Passagen lesen sich wie eine Werbebroschüre der AKW-Betreiber.»
Denn Forschungen zeigen: Radioaktivität löst bei Kindern Leukämie aus. Es genügt schon eine geringe Strahlendosis. In der Nähe von AKWs erkranken doppelt so viele kleine Kinder an Leukämie. Das zeigt eine grosse Studie aus Deutschland, an der Wolfgang Hoffmann beteiligt war (Gesundheitstipp 2/2008). Vergleiche von vielen weiteren Studien bestätigen das Risiko.
Das Forum behauptet in seinen Broschüren trotzdem, es stütze sich auf wissenschaftliche Erkenntnisse und wolle «zur objektiven Meinungsbildung» beitragen. Es solle weiter geforscht werden, «schliesslich geht es um die Gesundheit der Kinder».
Jetzt deckt der Gesundheitstipp auf: Zwischen dem Forum und den AKW-Betreibern gibt es Beziehungen. Der Geschäftsführer und Sprecher der Ärztevereinigung FME ist Dr. Daniel Frey. Er gehört auch zu den Autoren der Broschüren. Doch Frey ist kein Arzt. Der Historiker führt eine Kommunikationsagentur in Zürich, die «Frey Communications AG».
Auf deren Internetseite listet er seine Kunden auf. Darunter sind die Dachorganisationen der Stromkonzerne, Swisselectric und der Verband Schweizerischer Elektrizitätsunternehmen (siehe Grafik im pdf-Artikel). Darin vertreten sind die Betreiber der Schweizer AKWs: Alpiq, Axpo, BKW und CKW.
Auch das Paul-Scherrer-Institut hat Leute im FME
Kommt hinzu: Zwei Beisitzer im Vorstand des Ärzteforums arbeiten beim Paul-Scherrer-Institut in Villigen AG: die Ärztin Gudrun Goitein und der Physiker Martin Jermann. Das Institut forscht unter anderem für die Atomindustrie und bildet AKW-Techniker aus. Ausserdem arbeitet beim FME ein früherer Direktor der AKW-Aufsichtsbehörde mit.
Der Basler Krebsspezialist Claudio Knüsli engagiert sich bei den Ärzten für soziale Verantwortung. Für ihn «passt es ins Bild des FME», dass Daniel Frey AKW-Betreiber als Kunden hat. Martin Walter aus Grenchen, ebenfalls bei den Ärzten für soziale Verantwortung, sagt: «Ich halte das FME nicht für vertrauenswürdig.»
Der Gesundheitstipp konfrontierte das FME mit diesen Kritiken. Daniel Frey räumt ein, das FME habe ihn als Geschäftsführer beauftragt. Frey pocht jedoch darauf, das FME sei «unabhängig von der Kernenergie-Branche». Es sei auch nicht «kernenergie-freundlich» – es schliesse jedoch keine Energieform von vornherein aus. Die Publikationen würden von den mehr als 200 Ärzten bezahlt, die Mitglieder seien.
Die Beiträge genügten jedoch nicht immer, um die Kosten zu decken. Dann suche das FME «Personen, Organisationen oder Unternehmen, die einen Kostendeckungsbeitrag leisten möchten». Frey schreibt jedoch nicht, wer diese Unternehmen sind. An seinen Thesen zur Ursache der Kinderleukämien hält das FME fest und bleibt dabei, diese entsprächen «wissenschaftlichen Kriterien».
Die Dachorganisationen der AKW-Betreiber sagen nicht, ob sie das FME direkt unterstützen. Allerdings geben sie zu, sie hätten der Frey-Agentur vor vier beziehungsweise fünf Jahren einen Auftrag erteilt. Was sie nicht erwähnen: Auch damals war Frey schon Geschäftsführer des FME. Krebsarzt Felix Niggli schreibt dem Gesundheitstipp, er sei nicht Mitglied der Ärztegruppe, sondern habe bloss «die heutigen wissenschaftlichen Erkenntnisse» zusammengetragen. Er beteuert, er habe «grosses Interesse, die Ursachen der Kinderleukämie zu erforschen».